Letzes Jahr Samhain, da stehe ich gerade so in der Anderswelt herum, kaue an einem Grashalm. Da kommt die Alte, die Rabenfrau, bei mir vorbei, zipt an meinem Ärmel und beordert mich mit einem wortlosen Wink mit dem Kopf in einen anderen Raum. Ich folge ihr. Leer ist es da und kalt. In der Mitte ein erloschenes Feuer, ein altes Fell, ein Messer mit getrocknetem Blut. Wir stehen da und sehen uns das an. „Das ist alles was übrig bleiben soll“, sagt sie ohne mich anzusehen. Mich schauert. „Übrig wovon?“ frage ich sie. Sie sieht mich an und sagt „bis nächstes Jahr Schnitterin, und denk dran, das ist alles was übrig blieben darf“. Das Bild ist vorbei und ich gehe zurück in meine Welt.
Dieser Blick, mit dem sie mich anschaut war die ganzen Monate bei mir. Ich war in Cornwall dieses Jahr. Juliane macht ein Foto von mir am letzten Tag, kurz vor der Heimreise.
Gibt es Zufälle? ich durchsuche die Ordner nach einem Foto für eine Seite. Da schaut sie mich wieder an, direkt in die Augen. Wummmmm…. da schaue ich mich an, mit den durchdringenden Augen der Rabenfrau.
Die Vision ist immer schon vorher da, du brauchst sie nicht suchen, du mußt sie nur abholen. Man kann keine Vision suchen, sie bildet sich aus dem was war, was ist und was werden soll. Sie ist das Gewebe der Zeiten, das goldene Vlies. Zur vereinabarten Zeit, am vereinbarten Ort holst du sie ab. Erinnere Dich!
Ich weiß, ich muss gehen… muss gehen den Weg zurück in den Raum, zum kalten Feuer, zum leeren Fell und muss das Messer berühren.
Ich sitze allein im Wald. 5 Tage noch bis Schnitterin. Ich ritze mit meinem Messer das fünfzackige Pentagramm in den Boden vor mir. Ich bin allein, so allein habe ich mich selten gefühlt. An diesem warmen Sommerabend friere ich und bin so hundeelend alleine. Es geht nur alleine. Noch rieche ich die Erde, noch höre ich den Bach und den Wasserfall vor mir.
Ich gehe durch die Eingeweide der Erde, ich werde geschoben, gedrückt, ich werde verdaut und ausgespuckt. Die Alte hat mich gefressen mit ihren messerscharfen Zähnen. Meine Knochen zermörsert, mein Fleisch in sich hineingefressen. Etwas lebt und erlebt.
Du hast mit einem Hasenherz gelebt und das war gut, so hast Du die Angst kennengelernt, um durch sie durch zu gehen. Wir haben dir Adlerschwingen gegeben damit du fliegen kannst. Wir haben dir ein Wolfsfell gegeben, damit du laufen lernst. Wir haben dir die Schlangenhaut gegeben, damit du verwandeln lernst. Jetzt gib alles zurück, es ist Zeit zu sterben. Nicht einmal die Haut darf ich behalten.
Sterben lernen, tot sein lernen. Thema der Schnitterin. Ich bin Acker, bin die Frucht, bin das Sterben und der Tod. Wie kann ich denken, empfinden, wenn ich nicht mehr da bin? „Du bist ja da“ sagt mir die Alte. „WO bin ICH“ meine Frage. „Du bist dein eigener Dünger, Kompost geworden“.
Da, wo irgendwann vor Äonen Grenzen und Beschränkungen waren, ist nichts mehr, Raum angefüllt mir Leere. Ich muss nur liegenbleiben hier und mich auflösen, sonst nichts. Es ist so einfach mit einem mal. Ameisen durchwühlen meine Reste und tragen sie fort. Es ist richtig so. Shaman-Ca gibt es nicht mehr, ist nicht mehr Substanz, ist nur noch….
Großmutter wiegt meine Seele in den Armen und näht mir ein Kleid aus Träumen. Im leisen Lied formt sie neue Worte für mich. Die Wölfin setzt mir ihr Herz ein. Sie reiht meine Gehirnwindungen neu auf. Es sieht aus, als würde der Faden über eine Spindel neu gedreht. Alles ist eine große Einheit.
Sie schickt mich wieder weg, ich weiß ich muss gehen. Ich drehe mich ein letztes Mal um. Das Feuer an dem wir eben noch saßen ist erloschen. Das leere Fell, das Messer mit getrocknetem Blut, meinem Blut, alles bleibt zurück.
Der Bach murmelt in mein Ohr, die ersten Sonnenstrahlen des Morgens fallen durch die Blätter. Ich recke und dehne den neuen Körper. Es fühlt sich gut. ich genieße den Morgen in all seinen neuen Farben und Tönen. Meine Lippen formen das Lied. Schamanca ist zurück.