Und wieder das Herz – diesmal nicht meines

Okay, okay, wir wissen alle hier im Betrieb, dass der Juniorchef in Bezug auf soziale Kompetenz bisschen was an der Klatsche hat. War ja ein netter Ansatz die operativen Bereiche mit mehr Eigenverantwortung auszustatten, aber das sagt man anders, das heißt nicht: „das soll in Zukunft auf niedigem Niveau abgearbeitet werden“, wenn man einer angelernten Kraft gegenübersteht.

Was bei Th. ankam war: „Jetzt soll ich für’s Gehalt von einem Hilfsarbeiter auch noch Kunden und Lieferanten anrufen und Terminplanung machen. Dann bin ich doch für alles was schief läuft vollends der Depp.“

Heute morgen fragt mich die Vertriebssachbearbeiterin, ob denn das Teil aus Frankreich endlich aus der Reklamationsbearbeitung zurück ist. „Klar“, sag ich, „es liegt unten im Wareneingang bei Th.“ „Nee“, sagt sie spitz; „Th. liegt im Krankenhaus, hatte gestern einen Herzinfarkt, wurde gleich operiert.“ „Und da haben wir keine anderen Sorgen als das blöde Teil aus Frankreich?“, frage ich etwas entgeistert.

Th. ist 37 Jahre. Was hat der gestern einen dicken Hals gehabt. Ich hab ihm eine gute Stunde beim Schimpfen zugehört und hinterher gesagt, ändern könne ich momentan zwar nichts, aber wenn er mich unterstützt, könnten einige der Abläufe vielleicht anders organisiert werden. Ich habe halt keine Handlungskompetenz für Entscheidungen, kann nur Vorschläge entscheidungsreif weitergeben. „Macht ja nichts“, sagt er, Hauptsache er sei’s mal losgeworden, jetzt sei’s ihm wieder leichter um’s Herz.

Es wurde schon dunkel draußen, Zeit für Feierabend. Th. zog dann seine Stechkarte und ging. Ich hatte noch ein bisschen zu tun, nichts dramatisches, nur so Zeug, das einem den Schreibtisch zumüllt, wenn man es nicht kurzfristig abhakt. Tja. Ungefähr zwei Stunden später wurde er eingeliefert.

Er sollte endlich mit dem Rauchen aufhören. Was meint Ihr?

***

Alles total frei erfunden, gelle?!? Dass hier niemand auf die Idee kommt, das sei nicht frei erfunden! Ich liiiebe meinen Job und diesen wunderbaren mittelständischen Betrieb in 100% Familienbesitz.

3 Gedanken zu „Und wieder das Herz – diesmal nicht meines“

  1. Hallo Hallveig

    Als die spannendste Zeit und die für meinen Beruf im Qualitätsmanagement lehrreichste hab ich im Studium die Zeit ausgemacht, in der ich an diversen Fließbändern gestanden habe und Menschen erlebt habe, die nur ihr Handwerk, nicht aber ihre Gedanken verkaufen.

    Dollstes Erlebnis dieser Zeit:
    Backwarenfabrik, acht Frauen am Band, sie schlingen Brezeln, jeden achten Teigling rausgreifen, schwuppdich rumgeschlenkert und wieder auf’s Band geklatscht. Wem die Nase läuft, weil die Schockfrostanlage direkt daneben steht, dem läuft die Nase. Keine Zeit, keine Chance, weiter….

    Die Betriebsleiterin kam und mit ihr diverse Ingenieure mit einer Maschine namens Agathe. „Agathe wird in Zukunft die Brezeln schlingen, sie arbeitet vierundzwanzig Stunden an sieben Tagen, sie wird nicht krank und auch nicht schwanger.“ So die Betriebsleiterin zu ihrem Personal.

    Wie halten solche Menschen sich bloß selber aus?

    Grüße 🙂

    Yak

  2. Könnte jederzeit fast überall in Deutschland passieren… leider. Das ist eine sehr schöne Anekdote zum Thema „soziale Inkompetenz“ und erinnert mich stark an das Arbeitsklima, dessen mein Mann ausgesetzt ist… leider.
    Gruß
    Hallveig

Kommentare sind geschlossen.